· 

Nuptse-Ostgrat Expedition

Bericht #3

Liebe Freunde,

Unser zweiter Akklimatisations-Aufstieg liegt schon wieder 2 Tage hinter uns. Viele Stunden voller landschaftlicher Schönheit im Hochtal Western-Cwm und der Westflanke des Lhotse, in der wir auf 7100 m eine einsame Nacht zu dritt in unserem kleinen Hochlagerzelt verbracht haben. Aber auch einige Stunden, die uns ziemliche Sorgen bereitet haben: nach einem sehr trockenen Winter im Everest-Gebiet sind die Flanken von Nuptse, Lhotse und Everest völlig ausgeapert und trocken. Blankeis und Steinschlag waren unsere ständigen Begleiter. Zudem ist der mächtige Eisbruch oberhalb des Basislagers in einem beängstigenden Zustand. An einigen Stellen, vor allem zum Ende des 700 m hohen Eis-Trümmerhaufens, hängen von der Westschulter des Everest haushohe Eisblöcke absturzbereit über der Aufstiegsroute. Insgesamt sind wir froh mit der Vorakklimatisation am Lobuje East (siehe 2. newsletter) zumindest einmal weniger durch den Eisbruch steigen zu müssen, um an die Flanken des Nuiptse und Lhotse zu gelangen.

Am 22. April fand am idealen Tag - entsprechend dem Sherpa-Kalender der Tag der Mondwende - die traditionelle Puja statt. Sehr schön und respektvoll gestaltet von unserem Küchenteam und einem Mönch, der in einer parallel agierenden Expedition als Hochträger arbeitet. Die Besteigung kann beginnen.

 

 

Da der Wind in der Höhe aber zunächst noch sehr stark war, wollten wir mit dem ersten Aufstieg vom Basislager noch einen Tag zuwarten. Am 24. April ist es dann endlich so weit – um kurz nach 5:00 Uhr starten wir zum 1. Mal in den Eisfall. Zunächst geht es moderat und wenig zerrissen nach oben. Erst in der zweiten Hälfte des Aufstiegs realisieren wir, was dieses Jahr an Gefahrenpotenzial zu akzeptieren ist. Angespannt und so schnell als möglich steigt jeder über die von den Eisfall-Doctors abgesicherte Route auf. Kurz vor dem Ende des Eisfalls kommen die gefährlichsten Stellen, als der Aufstieg direkt unter einigen bedrohlich-überhängenden Seracs der Westschulter des Everest verläuft.

 

 

David, Gerlinde und ich sind froh als wir den sicheren Bereich von Lager I auf knapp 6100 m erreicht haben. Nach einer Pause steigen wir das flache Hochtal des Western Cwm weiter hinauf – eingerahmt von den steilen Nordwänden des Nuptse, der Westflanke des Lhotse und der gewaltigen Südwand des Everest. Auf 6400 m stehen schon viele Zelte der großen, kommerziellen Everest-Expeditionen. Am oberen Ende der Lagermöglichkeiten stellen wir unsere beiden kleinen Biwakzelte auf.

 


Den folgenden Tag lassen wir sehr gemütlich verrinnen: viel trinken, spätes Frühstück, nette Gespräche mit Kollegen, die wir schon lange kennen. Der Argentinier Damian Benegas ist gerade nebenan. Er hat vor einigen Jahren mit seinem Bruder Willie eine schöne, sehr steile Linie am Nuptse erstbegangen. Seine Erfahrungen von 5 Biwaks ohne Zelt in Folge sind spannend zu verfolgen.

Am 26. April steigen wir zum Bergschrund unserer geplanten Aufstiegsroute durch die Nordflanke des Nuptse zu seinem Ostgrat auf. Wir sind entsetzt wie trocken und ausgeapert die Route ist und wieviele große Felsbrocken am Wandfuß liegen. Schnell sind wir uns einig, dass diese Route zum Erreichen des Ostgrats nicht in Frage kommen wird: zu steinschlägig und damit zu gefährlich.

 

 
Vom Bergschrund, an dem schnell eine Übergangsmöglichkeit ersichtlich ist, wäre es auch möglich weiter nach rechts hinaus zu queren um einen sichereren Aufstieg zum Ostgrat zu finden. Wir haben gesehen, was uns wichtig war und kehren zum Lager II zurück, wo wir bei wunderschönem Wetter einen traumhaften Spätnachmittag verbringen.

 

 

Der 27. April beginnt windig – wir wollen nach Lager III aufsteigen. Schon auf dem Weg zum Bergschrund unter der Lhotse-Flanke merke ich - wie auch die letzten Tage schon - dass ich mit stark angezogener Handbremse unterwegs bin. Möchte ich schneller aufsteigen kommt einfach keine Energie und so hänge ich Gerlinde und David im Aufstieg bald weit hinterher. Meine Erkältung vom Lobuje ist leider noch nicht richtig auskuriert. Mit dem vollen Rucksack „schleppe“ ich mich regelrecht nach oben und bin froh als ich den Biwakplatz, den Gerlinde und David auf 7100 m in mühevoller Arbeit aus dem Eis heraus gehackt haben, erreicht habe. Wir sind die einzigen, die in dieser Nacht in Lager III der Lhotse-Flanke, also im Aufstieg zum Everest übernachten. Für uns drei eine zwar anstrengende, dafür ideale Akklimatisationsnacht.

 


Auch der 28. April beginnt wieder sehr windig - vor allem erreicht uns die Sonne erst sehr spät. Aber wir haben es nicht eilig und so packen wir die Rucksäcke erst am frühen Nachmittag für den Abstieg. Unser erstes großes Zwischenziel, eine Nacht auf über 7000 m ist erreicht und so beginnen wir um 14:40 Uhr mit dem Abstieg. Etwas müde und sehr zufrieden erreichen durch den Eisfall zum Abendessen das Basislager – Sitaram hat zum Abschluss dieses langen Tages ein wunderbares Essen gezaubert.

 

 

Lange schlafen wir aus am nächsten Vormittag – aber schon kurz nach dem Frühstück wird mir klar, dass ein Arztbesuch für mich nichts Verkehrtes wäre. Es fehlt mir einfach Energie und Schubkraft – was ich gerne abklären möchte. Monica, die spanische Ärztin von Bergführer-Kollege Russel Price untersucht mich und stellt eine Nasennebenhöhlenentzündung fest. 7 Tage Pause und Breitband-Antibiotika-Einnahme sind angesagt. Also werde ich mich erst mal auskurieren und habe Gerlinde und David gebeten, bei nächstbester Gelegenheit alleine zum Nuptse aufzubrechen. Momentan würde ich eine echte Gefahr für die beiden und auch für mich selbst bedeuten.

Je nachdem, wie es mir die nächsten Tage geht, werde ich evtl. auch nach Tengpoche (3800 m) absteigen, um dort im Grünen meine Sinusitis wirklich ganz auszukurieren.

David und Gerlinde werden nun in den nächsten Tagen versuchen, über den Steinschlag-sicheren, wunderschönen Nordpfeiler des Nuptse – die sogenannte Scott Route – hinaufzuklettern.

 


Für heute verabschiede ich mich und sende herzliche Grüße in die Heimat,
Ralf Dujmovits

Ralf in Lager III auf 7100 m © G.Kaltenbrunner
Ralf in Lager III auf 7100 m © G.Kaltenbrunner