Bericht #6
(Dispatch in English please see below)
Verzichten wollen – verzichten müssen
Alle drei sind wir seit vorgestern, Freitag abend, gesund zurück im Basislager; Gerlinde und David konnten eine wunderschöne Alpinstil-Besteigung des Nuptse über seinen sehr selten bestiegenen
Nordpfeiler realisieren (nach zu lesen unter: Nuptse Abschlussbericht) – und ich werde für alle Zukunft auf
eine Besteigung des Everest ohne künstlichen Sauerstoff und ohne Sherpa-Unterstützung verzichten. Ich habe es Gerlinde versprochen.
Zunächst hatte alles ideal angefangen: obwohl ich nochmals ein leichteres Zelt und eine leichtere Matte eingepackt hatte, war ich nach dem gefährlichen Aufstieg durch den Everest-Eisfall schon
vor halb zehn Uhr im Lager II. Den Rest des Tages verbrachte ich mit Besuchen bei befreundeten Expeditionsteams und Herum-Dösen im teilweise unerträglich heißen Hochlagerzelt. Auch am nächsten
Tag, dem 16. Mai, lief alles wie am Schnürchen; mit einem rechtzeitigen Aufbruch entging ich der großen Hitze und konnte kurz nach Erreichen der Sonne in der Lhotse-Flanke in Lager III auf 7100 m
frühzeitig ankommen.
Nur ein chilenisches Team und Ueli Steck aus der Schweiz versuchen wie ich den 18. Mai als Gipfeltag zu erreichen. Den Tag, an dem ein Sherpa-Team in dieser Saison erstmals zum Gipfel aufsteigen
und dabei versuchen möchte, die Route mit Fixseilen abzusichern. Den meisten anderen ist es zu ungewiss, dass die Aufstiegsroute evtl. noch nicht ganz bis zum Gipfel versichert sein könnte und
versuchen sich auf den 19. Mai als Gipfeltag einzustellen. Obwohl dieser Tag mit etwas höheren Windgeschwindigkeiten schon nicht mehr als ganz so ideal angekündigt ist. Ohne Sauerstoff aufsteigen
zu wollen – Ueli und ich sind die einzigen - heißt aber die bestmöglichen Verhältnisse zu erreichen – und diese sind nun eben für den 18. Mai aus den Wetterprognosen heraus zu lesen.
Am 17. Mai starte ich um kurz vor 04:00 Uhr zum Aufstieg in die Lhotse-Flanke. Und habe unendliches Glück – ein halbe Stunde später bricht weit oberhalb von Lager III ein Eisturm ab und überrollt
Teile von Lager 3: zwei Sherpas, die gerade im Aufstieg sind, werden dabei schwer verletzt und 17 Zelte – alle glücklicherweise unbesetzt – werden zerstört. Darunter auch das, in dem ich gerade
noch geschlafen hatte. Ueli Steck hatte entschieden, dieses Mal von Lager II direkt zum Südsattel aufzusteigen und hatte sein Zelt in Lager III nicht genutzt. Auch sein Zelt wurde bei dem
Eis-Lawinenabgang komplett zerstört. Nicht auszudenken, was passiert wäre, hätte er in Lager III übernachtet.
Von dem alles nichts wissend, steige ich durch die empfindlich kalte Nacht und bin froh als mich oberhalb des gelben Bandes – ein Sandsteingürtel, der die ganze Lhotse-Flanke auf 7600 m
durchzieht, – die Sonne endlich erreicht. Die Querung zum sogenannten Genfer Sporn bringt mich zum letzten Steilaufstieg und damit zur Traverse in den Südsattel. Schon von weitem ist zu erkennen,
wie sich das Fixierungsteam aus 12 Sherpas langsam nach oben in Richtung Balkony kämpft, einem Absatz auf dem SO-Grat des Everest in 8500 m Höhe.
Im Südsattel angekommen, merke ich, dass mich der Aufstieg über 850 Höhenmeter mit meinem gesamten Gepäck – Zelt, Matte, Schlafsack, Gas, Kocher, Verpflegung, zusätzliche Daunenjacke und
-handschuhe und eine weitere Primaloft-Hose – doch ziemlich geschlaucht haben. Mein Anspruch – außer der Nutzung der Fixseile – den ganzen Aufstieg aus eigener Kraft zu schaffen, hat mich doch
ordentlich gefordert.
Trotz des Windes habe ich mein kleines Zelt hier oben auf 7950 m schnell aufgebaut, Eis zum Schmelzen gehackt und kann im Zelt anfangen zu kochen bevor es anfängt zu zu ziehen und leicht zu
schneien beginnt. Am späten Nachmittag kommt auch Uli an – wir verabreden uns auf Mitternacht für den Start. Über Satellitentelefon melden sich am Abend Gerlinde und David von gegenüber am
Nuptse-Nordpfeiler. Sie sind in ihrem Biwak auf 7250 m zurück und freuen sich über eine gelungene Alpin-Stil-Besteigung des Pfeilers. Alles hat gut geklappt – nachzulesen unter
http://www.gerlinde-kaltenbrunner.at/neuigkeiten/ Gerlinde bittet mich noch inständig, kein zu großes Risiko ein zu gehen und auf meinen Körper zu hören.
Während direkt neben mir das chilenische Team mit künstlichem Sauerstoff und einem Höllenlärm sich für den Gipfelaufstieg ebenfalls um Mitternacht vorbereitet, bemerke ich, dass mir der Aufstieg hier herauf doch mehr zugesetzt hat als erwartet. Kein Appetit auf gar nichts und ich bin unendlich müde. Als mir um 23:00 Uhr dann auch noch das knappe Frühstück aus dem Gesicht fällt ist meine Entscheidung klar: ich gehe die 50 Meter bei fast -30° C zu Ulis Zelt und sage ihm, dass ich um 24:00 Uhr nicht mitkommen werde. Eine Entscheidung, die mir sehr, sehr schwer gefallen ist. So knapp vor der letzten Etappe zum großen Ziel aufzugeben kostet mich massive Überwindung. Aber die Chance hier auf diesen letzten Höhenmetern einen Fehler zu machen – und es braucht in dieser Höhe sehr viel Selbstkontrolle um an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit unterwegs zu sein - ist zu groß und würde mit großer Wahrscheinlichkeit schwere Erfrierungen oder gar das Ende bedeuten. Und das ist mir der Everest „oben ohne“ auf keinen Fall wert. Ich lege mich wieder in den viel zu dünnen Schlafsack und schlottere dem Sonnenaufgang entgegen. Tatsächlich um kurz vor 06:00 Uhr dann auch das erste Erleuchten der Zeltoberkante und dann wird es ruckzuck angenehmer. Ich wärme mich noch ein wenig auf, mache noch ein paar Bilder am Südsattel – um 7:00 Uhr erreichen die Aufsteigenden den Balcony – und beginne wenig später mit dem Abstieg.
Vom äußeren Ende des Genfer Sporn dann der erste Blick in die Lhotse-Flanke. Und was ich sehe übertrifft alles was ich in meinem 50-jährigen Leben bisher an sich unterordnendem Gerne-Groß gesehen habe. Ca. 200 Menschen wie auf einer Kette aufgereiht, viele ab Lager II oder III mit künstlichem Sauerstoff aufsteigend, alle vom gleichen Traum beseelt, einmal auf dem Everest zu stehen – koste es was es wolle. Dazwischen Sherpas, die den Sahibs ihre Lasten zum Südsattel tragen. Es ist krotesk. Als ich näher komme, werde ich von vielen gefragt: „Ralf – Summit?“ „Nein - zu müde gewesen“ sage ich zumeist und steige nachdenklich ab. Am 19. Mai werden viele der hier in Reih' und Glied mit Zusatz-Sauerstoff aufsteigenden den Gipfel erzwingen, aber auch einige nicht mehr zurück kommen.
Der Rest ist schnell erzählt: in Lager II traf ich Gerlinde und David, die überglücklich von ihrem einsamen Nuptse-Abenteuer zurück sind und sich freuen, mich gesund und wohlbehalten wieder zu
sehen. Auch sie hatten den Wahnsinn in der Lhotse-Flanke mit beobachtet. Gemeinsam stiegen wir am späten Nachmittag noch durchs Western Cwm nach Lager I ab und bei einsetzendem Schneefall durch
den immer präkerer werdenden Eisfall. Pünktlich zum Abendessen laufen wir im Basislager ein und freuen uns, gesund zurück zu sein.
Mein Freund, der Künstler und Kabarettist Jörg Kräuter, hat mir gestern nach Rückkehr einen schönen Satz geschrieben: „Es ist ja auch eine Art Gipfelerfolg, der Altersweisheit zu folgen und
zufrieden zu sein, sein Bestes gegeben und das Allerbeste behalten zu haben.“
Ich glaube, hier muss ich nichts mehr hinzu fügen.
Meinen Partnern aus der Bergsportindustrie – Schöffel, LOWA, GoreTex, Petzl und Komperdell – möchte ich wieder für die langjährige (zum Teil über 17 Jahre) Unterstützung danken. Vor allem aber
auch Nicola Roth, die mir im Büro, völlig den Rücken frei hält. Danke Euch sehr!
Ganz herzlich gratulieren möchte ich noch Ueli Steck: der 35-jährige Ausnahme-Bergsteiger aus dem Berner Oberland durfte seit Jahren wieder als erster von Süden aufsteigend ohne Zuhilfenahme von
künstlichem Sauerstoff auf dem höchsten Punkt der Erde stehen!
Herzliche Grüße
Ralf
Give the best – keep the very best
All three of us returned safe and sound to base camp on Friday evening; Gerlinde and David succeeded in climbing the rarely-climbed North Pillar of Nuptse in Alpine Style (for more info visit
www.gerlinde-kaltenbrunner.at/news) - and I have promised Gerlinde to resign and never attempt Everest without supplementary and Sherpa support again.
Even though it all started so well: after I had packed a lighter tent and sleeping mat and had crossed the treacherous Khumbu Icefall, I managed to reach Camp II in good time at 9.30am. I spent
the rest of the day visiting friends and having various naps in the heat of my little expedition tent.
The next day, 16th May, was also running very smoothly: I started early enough to escape from the excruciating heat and managed to reach Camp III at 7,100m without having to climb in the beating
sun on the Lhotse Face. Apart from me, only a Chilean team and Ueli Steck from Switzerland were attempting the summit on 18th May, which was the day the Sherpas were fixing the ropes to the top.
Most other teams were worried that the Sherpas would not finish fixing the summit ridge in time and waited with their summit attempt until 19th May, even though higher winds were forecast for
that day making the summit window less ideal. When climbing without supplementary oxygen – Ueli and I were the only two people who were doing so - you need the best possible conditions, and these
were predicted for 18th May.
I left my tent at 4am on 17th May and started climbing up the Lhotse Face. I was incredibly lucky as half an hour later a huge ice block came flying down from above, burying large parts of Camp
III. Two Sherpas, who were on their way up, were seriously injured and 17 empty tents were completely destroyed. One of them was the one I had been sleeping in only a few moments ago. Ueli Steck
had decided to reach the South Col directly from Camp II and did not use his tent at Camp III. The ice avalanche also destroyed his tent and I don’t even want to think about what would have
happened, had he slept there. From afar I could see the Sherpas edging their way towards the Balcony – a ledge on the Southeast ridge at about 8,500m. When I arrived at the South Col I realised
that climbing the 850 vertical metres with a heavy load – tent, mat, sleeping bag, stove, food, down jacket and gloves as well as another primaloft pants – had really exhausted me. My desire to
climb the mountain all by myself and with my own power (apart from using the fixed ropes) had depleted me of energy. Despite of the wind, it did not take long for me to pitch my tent, get some
snow and boil some water before it started snowing at my camp at 7,950m. Ueli arrived in the late afternoon and we arranged to meet at around midnight to start our ascent together. Via satellite
telephone, I spoke to Gerlinde and David, who told me that they were back from their bivouac at 7.250m and were excited that they managed to climb the North Pillar of Nuptse in Alpine Style.
Everything had gone well – for more information, visit www.gerlinde-kaltenbrunner.at/news/. Once again, Gerlinde asked me not to take too much of a risk and listen to my body.
While the Chilean team, who were using supplementary oxygen, were making a racket to prepare for their summit attempt, I noticed that the ascent to the South Col had taken its toll on me. I had
no appetite at all and I was incredibly tired. When literally my breakfast fell out of my face at 11pm, I knew what I had to do: to walk those 50m to Ueli’s tent at -30° C and tell him that I
would not come. A decision that was extremely hard. Giving up so close to the goal took a lot of courage and strength. However, the possibility to make a huge mistake up high (and you need a lot
of self control to be coordinated at this altitude where your body reaches its limits) was very big and could mean that I would get frostbite or even worse….and one thing is certain: climbing
Everest ‘topless’ is not worth this high price. So I crawled back into my much-too-thin sleeping bag and continued to shiver until sunrise. Just before 6am, the sun hit my tent and the
temperature rose immediately. I warmed up a bit, took a few pictures of the South Col (at 7am I could see the first people reach the balcony) and started my descent. When I reached the Geneva
Spur, the Lhotse Face came into my view and what I witnessed there topped everything I had ever seen in my 50-year-old life. Around 200 people were moving up the Lhotse Face in a line. Most of
them started using supplementary oxygen in Camp II or Camp III and all of them had the same dream – to stand on top of the world, no matter at what cost. In between were the Sherpas, who were
carrying their ‘Sahib’s’ loads to the South Col. It was bizarre. When I got closer, many people asked me: “Ralf – summit?” “No, I was too tired”, I answered and continued my decent following my
thoughts. Many of those moving in the long line up the Lhotse Face with supplementary oxygen reached the summit on 19th May, however, some of them did not come back.
And that’s about it: I met Gerlinde and David in Camp II, who were very happy about their quiet Nuptse adventure and they were very happy to see me healthy and safe. They had also witnessed the
madness on the Lhotse Face. We descended through the Western Cwm and later through the icefall, which seems to be getting more dangerous every time and were back at base camp for dinner. We are
all happy to be back safe and sound.
My good friend, the cabaret artist Jörg Kräuter, wrote me an interesting line: „In a way, it is also a kind of a summit success to follow the wisdom of age and be content to have given your best,
but keep the very best.”
I don’t think I have to say any more.
I would like to thank my partners in the mountaineering industry – Schöffel, LOWA, GoreTex, Petzl and Komperdell – who have supported me for a long time (some of them even 17 years). My special
thanks goes to Nicola Roth, who is looking after everything in the office and back home. Thanks to all of you!
I would also like to congratulate Ueli Steck: the 35-year-old exceptional mountaineer from the Bernese Oberland. He has become one of the few people who reached the top of the world via the South
Col without the use of supplementary oxygen!
TRANSLATION by Billi Bierling