Liebe Freunde,
Danke an Euch alle, die sich in den letzten schwierigen Tagen Gedanken um mich und Nancy gemacht haben. Viele haben nach dem furchtbaren Erdbeben gefragt, wie ich mich fühle. Am ehesten
beschreibt "Leere" meine und unsere Stimmung. Tausende Menschen sind auf beiden Seiten des Himalaya-Hauptkamms gestorben, Zehntausende sind obdachlos und große Not und unüberschaubares Elend
liegt vor den Überlebenden. Wir möchten kein einziges Wort der Enttäuschung äußern. Wir hatten Hoffnungen und Träume - und sind (auf der Everest Nordseite) in erster Linie mit dem Leben davon
gekommen.
Nancy und ich waren auf dem Weg eine Stunde oberhalb des unteren Basislagers (CBC, 5200 m) als uns das erste verheerende Beben traf. Zunächst verstanden wir nicht, dass es ein Erdbeben war - wir
rannten um unser Leben als zimmergroße Felsblöcke von den über uns liegenden Moränenhängen zu uns herunter donnerten. Als das zweite Beben einsetzte saßen wir gerade auf ein paar Felsen des
östlichen Rongbuk-Gletschers um zu vespern. Und als sich diese heftig bewegten hatten wir keine Zweifel mehr was los war.
Wir hatten geplant einen Tag vor den Yaks und den anderen Bergsteigern der AMICAL alpin Gruppe ins Zwischenlager (5800 m) aufzusteigen, um vor dem endgültigen Erreichen des vorgeschobenen
Basislagers (ABC) zwei Mal auf dieser Höhe zu übernachten. Nach dem Beben ließen die chinesischen Behörden niemand mehr das untere Basislager verlassen - und damit waren wir beiden die Letzten,
die noch aufsteigen konnten. Die Yaks hätten die ganze Kommunikationsausrüstung, Solaranlage und Laptops bringen sollen. Da alles nie kam standen wir nur mit dem Satelliten-Telefon da. Ohne
Möglichkeit dessen Akku nach zu laden. Und so dauerte es eine Weile bis wir den Ernst der Lage verstanden.
Als wir letztlich das ABC (6400 m) - und damit einige wenige, schon früher aufgestiegene Bergsteiger - erreichten, wurde uns allmählich das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst. Und damit begann
auch die Diskussion um 'umkehren' oder nicht.
Die Straße zurück nach Nepal war völlig unbrauchbar, im gänzlich zerstörten chinesischen Grenzort Zangmu und Umgebung alleine 1200 Tote. Weder wir noch die für die AMICAL alpin Mannschaft
beschäftigten Sherpas hätten auf dem Landweg zurück reisen können. So entschieden wir uns zunächst in der Sicherheit des vorgeschobenen Basislagers zu verbleiben.
Nach drei Tagen wurde uns von den chinesischen Behörden mitgeteilt der Everest sei aus Sicherheitsgründen auf der tibetischen Seite für ein halbes Jahr gesperrt. Seismologen würden weitere starke
Nachbeben mit Epizentrum bei Tingri -nördlich des Everest- erwarten. So stiegen wir die 22 km ins untere Basislager wieder ab und trafen dort viele entweder beim Zusammenpacken oder aber
erfuhren, dass einige schon abgereist waren. Mit dem Ziel so schnell wie möglich über Lhasa und Peking zurück nach Europa oder Japan zu reisen. Zurück blieb das Zwischenlager und das ABC, wo
inzwischen Ausrüstung und Verpflegung, welche von über etwa 1000 Yaks transportiert wurde, lagerte. Hoffentlich findet diese nach dem Rücktransport den Weg zu bedürftigen Abnehmern, damit die
Tonnen von Verpflegung nicht verrotten.
Diese Zeilen schreibe ich von Lhasa - der rapide wachsenden Hauptstadt Tibets. Insgesamt 14 Fahrstunden vom Everest Basislager entfernt. Die China Tibet Mountaineering Association (CTMA) trägt
großzügig die Kosten für Rücktransport, Unterbringung und Verpflegung. Und kümmert sich um die Visaformalitäten der gesamten gestrandeten Bergsteiger an allen tibetischen Gipfeln. Uns bleiben die
Kosten für die überraschend baldige Rückreise ab Lhasa.
Wir planen am 6. der 7. Mai nach Kathmandu zurück zu fliegen und sind uns bewusst, dass wir dort eventuell eher eine Last als eine Hilfe sein werden. Aber es ist mir wichtig die beiden 2001 und
2009 gemeinsam mit der Nepalhife Beilngries auf den Weg gebrachten Schulen in Sindhubalchowk in Augenschein zu nehmen. Beide sollen schwer beschädigt oder zerstört sein. Wir haben ein leichtes
Zelt, Matten und gefriergetrocknete Verpflegung im Gepäck.
Für den 10. Mai plant die chinesische Regierung den gesamten Sherpas (also nicht nur den Hochträgern sondern auch den Köchen und Küchenhelfern) einen kompletten Charterflug von Lhasa nach KTM
kostenlos zur Verfügung zu stellen. Laut CTMA hier in Lhasa ist die Wahrscheinlichkeit bei ca. 90%. Es gibt seit dem Erdbeben keinen anderen Weg aus Tibet nach Nepal. Nyalam muss weitestgehend
zerstört und die Straße nach Kodari an vielen Stellen unbrauchbar sein. Auch die Straße westlich des Shisha Pangma ins vordere Langtang nach Sybru Besi/Dhunche ist zerstört.
Für heute einen ganz herzlichen Gruß,
Ralf